Stärkt die Taliban und schwächt die Situation der Frauen und Mädchen
(Interview dazu auf Radio Bremen zwei am 16.April 2021 um 13.10 Uhr)
Nirgendwo leben Frauen so gefährlich wie in Afghanistan. Das habe ich bereits für mein Buch „Wo Frauen nichts wert sind“ erfahren müssen. Doch obwohl sie durch den Abzug der US-Truppen und der NATO-Soldaten jetzt mehr denn je um ihr Leben fürchten müssen, kämpfen unverändert Frauen um die Gleichberechtigung. Vor allem die Jungen unter 25 Jahren. Sie sind über die Hälfte der 19 Millionen afghanischen Frauen.
Denn in den vergangenen 20 Jahren, seitdem die Taliban davongebombt worden waren, hat sich für sie so manches zum Positiven verändert: Mädchen dürfen in die Schule gehen, Frauen haben studiert und Berufe ergriffen.
Es gibt Journalistinnen bei den Zeitungen, sogar einen Fernsehsender, der nur von Frauen für Frauen produziert wird. Schon bei meiner Recherche habe ich Maryam Durani kennengelernt, die in Kandahar einen Frauen-Radiosender betreibt.
Aber jetzt sind die Freiheiten der Frauen höchst fragil.
Bei den Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung, den Taliban und damals noch US-Präsident Donald Trump in Doha und Moskau waren nur vier afghanische Frauen beteiligt- dafür je 21 Vertreter der Tabliban und der Regierung in Kabul. Dazu steigt jetzt auch durch den lockdown die Gewalt gegen Frauen. 90 Prozent der Afghaninnen haben laut Vereinten Nationen schon in ihrem Leben Gewalt erleben müssen. Vor allen in den Dorfgemeinschaften weit weg der großen Städte Kabul und Kandahar kommt es aktuell immer wieder zu Lynchmorden und zu Steinigungen. Das EVAW-Gesetz (end violence against women), das seit 2009 zum Schutz der Frauen verabschiedet wurde, wird längst nicht mehr eingehalten.
Schon bei meinen Recherchen war ich erschüttert, wie viele Frauen in Afghanistan im Gefängnis sind. Die Hälfte von ihnen sind wegen sog. moralischer Verbrechen eingesperrt: Ehebruch zählt als Folge von Vergewaltigung, ebenso Zwangsprostitution, die meist vom Ehemann angeordnet wird.
Sicher: Heute gibt es sehr viele starke, mutige Frauen. Zum Beispiel Zarifa Ghafari, seit 2018 Bürgermeisterin von Maidan Shahr. Aber sie lebt mit Attentaten, Morddrohungen und öffentlicher Missgunst. Dafür erhielt sie 2020 den US-Preis für mutige Frauen. Zusammen mit sieben anderen Afghaninnen, die getötet worden waren: Journalistinnen, Polizistinnen, Hebammen. Opfer der neuen Welle von Gewalt.
Wenn es um Geschlechter-Gerechtigkeit geht, liegt Afghanistan auf Platz 153 von 160 Ländern.
20 Jahre nach der Entmachtung der Taliban werden unverändert rund 59 Prozent aller Mädchen unter 18 Jahren zwangsverheiratet, verkauft. Es wird nicht besser werden in dem schönen, harten Land am Hindukusch. Auch und gerade nicht für alle Frauen die Kinder gebären. Denn in keinem Land der Welt sterben mehr Frauen bei der Geburt: 1300 im letzten Jahr auf 100 000 Lebendgeburten. Bsp. Deutschland: 4-5 Fälle auf 100 000 Geburten. Mir ist Angst und Bang um die Frauen in Afghanistan.
Maria von Welser/ April 2021