6. Tag
Jetzt hatte ich eine kleine- biologische-Schaffenspause. Mich hat eine unglaubliche Diarrhoe zeitgleich mit Übergeben erwischt. Alle Termine für diesen Tag gecancelt. Die Medikamente haben nicht gewirkt. Das Hotel hat mir einen Arzt geschickt. Antibiotika, etwas gegen das Erbrechen und Elektrolyte stehen auf seinem handgeschriebenen Rezept. Er war besonders freundlich und mitfühlend. Er kenne das gerade bei ausländischen Gästen. Dabei habe ich immer beim Essen so aufgepasst: Cook it, peel it, or throw it away...hat mich jahrelang durch Asien gebracht. Aber diesmal eben nicht. Morgen früh soll mein Flug gehen- mal schaun,ob ich es schaffe. Zur Zeit wird mir schwummrig wenn ich aufstehe, der Schweiß bricht aus. An Kofferpacken ist nicht zu denken....abends rufe ich Klaus an. Er bucht meinen Flug um. Bindu sagt dem Fahrer Bescheid – und ich schlafe ein.
Am nächsten Morgen sieht die Welt wieder besser aus. Ein kleines Frühstück, und mittags auschecken. Leider bekomme ich keinen late check out- so muss ich mich im Hotel sitzend und liegend herumtreiben bis heute Nacht um 23.30...dann kommt der Fahrer und sammelt mich auf. Hier jetzt am exklusiven Hotelpool- in dem sich zwei dicke indische Männer tummeln – also Zeit für die Notizen des letzten Kapitels meiner Indien-Recherchen. Swamiji Agnivesh, ein indischer Weise und Kämpfer für die Frauenrechte hat uns am Morgen bei sich in seinem weit verzweigten Haus empfangen. Komplett in orange gekleidet, inklusive Turban, ist er wahrlich ein Weiser- aber auch leider inzwischen ein Abgeklärter, und nicht mehr hoffnungsvoll. 2005 noch hat er eine Kampagne gegen die Tötung des weiblichen Fötus gestartet. Mit dem Erfolg, dass die Regierung ein Gesetz erlassen hat, mit dem die Tötung weiblicher Föten verboten wird. Noch früher war er erfolgreich mit einem Marsch gegen die Behandlung der Witwen und gegen deren Verbrennung zusammen mit ihren Ehemännern. Wie die Situation der Frauen in Indien verbessert werden kann, will ich von ihm wissen. Für Swami ist es klar: das geht nur über die von ihm immer geforderte Stärkung der Frauen. Sowohl in psychologischer, wirtschaftlicher als auch gesetzlicher Hinsicht. Frauen, konstatiert er, sind nun mal zweiter Klasse Bürger in diesem Land. Das muss sich ändern. Was für ihn schon bei der Erziehung beginnt. Frauen sollten sich auch vielmehr wehren, zum Beispiel gegen den Test um das Geschlecht eines Babys zu bestimmen. „Es ist der Gipfel an Hilflosigkeit einer Frau, wenn ihr weibliches Baby schon im Bauch nicht sicher ist“. Es gäbe keinen Frieden in der Welt, wenn wir die Frauen nicht gleichberechtigt einbinden...und das führt ihn in seinen Ausführungen auch gleich in die Religionen, die bereits Frauen ausgrenzen. Aber er wirft den Frauen auch vor: sie wehren sich nicht, sie gehen nicht auf die Straße. Er habe sogar mal vorgeschlagen, eine Frauenpartei zu gründen. Schließlich sind sie doch 50 Prozent im Land- aber es hat sich nichts bewegt. Und da kommt auch Resignation bei ihm durch. Wenn Frauen den Mund aufmachen, wird sich was ändern. Sie leiden vor allem an der Kultur des Schweigens. Jedes Land hat einen riesigen Verteidigungsetat – aber wie groß ist der Etat um Mädchen und Frauen auszubilden und zu fördern? Vielleicht ist es ein Zufall, dass vor dem Haus von Swami an diesem Tag drei Demonstrationen stattfinden: eine der Dalits, der Unberührbaren. Dann der Frauen gegen Gewalt und schließlich eine der Männer für bessere Bezahlung. Swami entlässt mich aber leider ein wenig deprimiert. Ohne Hoffnung, dass sich in absehbarer Zeit etwas verändern könnte.
Der Nachmittagstermin allerdings wirft ein anderes Licht auf Regierung und Chancen für Frauen: wir treffen Usha mit einem unaussprechlichen, nicht schreibbaren Nachnamen. Sie ist Chairman und Managing Director der ersten ausschließlichen Bank für Frauen. Vor drei Wochen erst eröffnet, weil das Finanzministerium wohl meinte, man müsse auch mal etwas für Frauen tun. Vor allem auch, weil Frauen kein wirtschaftlicher Faktor seien. Sie sind zwar der Kopf der Familie, sie sparen an versteckten Plätzen, damit die Ehemänner nichts davon ausgeben für ihre eigenen Belange. Jetzt bietet ihnen Usha ein eigenes Konto, Zinsen von 4,5 bis 9 Prozent und Kredite ebenfalls zu günstigen Bedingungen. Wenn sich die Frauen mit einem kleinen Gewerbe selbstständig machen möchten. Außerdem hat sie eine Untersuchung in Auftrag gegeben, um zu erfahren, welche kleinen Geschäftsmodelle für Frauen erfolgreich sind. Die will sie vor allem fördern. Dabei findet Usha auch, dass das Modell des eigenen Bankkontos Frauen unterstützt, ihnen Selbstbewusstsein gibt und sie ermutigt zu einem selbstbestimmten Leben. Sie hat jetzt ehrgeizige Ziele: in drei Monaten möchte sie Filialen in allen 28 indischen Bundestaaten aufgemacht haben. Bis jetzt arbeiten 120 Mitarbeiter für sie, davon 70 Prozent Frauen. Vor allem über NGO-Gruppen möchte sie dort an die Frauen kommen. Und ihnen das Bankmodell schmackhaft machen. Auf die Frage, ob denn auch Männer bei ihr ein Konto eröffnen dürfen, spricht sie ganz schnell von der Diskriminierung der Männer- und will natürlich auch Männern die Chance geben. Vor allem, wenn sie ein Projekt planen, das wiederum Frauen Jobs verschafft und für die Ausbildung von Frauen sorgt. Kredite soll es allerdings nur begrenzt für sie geben. Auch, weil Frauen zu 95 Prozent ihre Kredite zurückzahlen. Im Gegensatz zu den Männern. Und noch etwas erzählt sie, auf das sie sehr stolz ist: alle Frauen, die sie jetzt bei ihrer noch so jungen Staatsbank eingestellt hat, sind eine Gehaltsstufe nach oben gerückt. Na bitte!
Zurück im Hotel schreibe ich meine 200 Zeilen für die Bild am Sonntag, plus Kasten. „Ich traf die Mutter deren Tochter vergewaltigt und ermordet wurde“. Vielleicht ein wenig reißerisch- aber eben Bild. Sie haben mir vorab schon das Layout geschickt, die Fotos von Christian sind groß abgedruckt. Nächste Woche schreibe ich dann die Hauptgeschichte über die Situation der Frauen in Indien. Für mein Buch habe ich Informationen zu Hauf. Heute hier am Pool wird mir wieder klar, wie bitter die Lage für sie alle ist. Von wegen gleichwertig, gleichberechtigt. Ich möchte in diesem Land als Frau nicht leben. Und fliege heute Nacht wieder in unser so demokratisches Deutschland zurück. Richtig gerne.