Vortrag am 3. März 2018 in Paderborn
Als im Sommer 2015 Tausende und Abertausend junge Männer über die Balkanroute nach Deutschland flüchteten habe ich mir immer wieder bei den Fernsehbildern die Augen gerieben: wo haben die ihre Frauen, Töchter, Mütter gelassen? Daraufhin bin ich in die Flüchtlingslager vor der "Festung Europa" gereist: nach Jordanien, Libanon, in die Türkei und auf die griechische Insel Lesbos. Hier saßen sie fest, hier sitzen sie zu einem großen Teil immer noch fest. Derzeit im März 2018 3,6 Millionen Frauen und Kinder. Die Gründe für ihre Flucht waren nicht geschlechtsspezifisch, das war und ist bis heute der Krieg in Syrien. Er ist nicht vorbei und die geflüchteten Menschen leben in den Flüchtlingslagern unter erbärmlichen Verhältnissen. Und ja, dort gibt es Prostitution, in Amman verkaufen syrische Familien ihre älteste Tochter an einen Saudi, der im SUV durch die Wüste gebraust ist und gerne 10 000 Dollar zahlt. Im Libanon kaufen sich auch Libanesen, wenn sie denn Muslime sind, gerne die dritt- oder viert-Frau. Die kostet dann nur 200 oder 300 Dollar. Syrerinnen gelten als anpassungsfähig, hübsch und sanft.
Ansonsten geht es für die Frauen und Kinder in der Türkei, im Libanon und in Jordanien vor allem um das Überleben. Wenn sie registriert sind, bekommen sie immerhin 29 Dollar im Monat vom Welternährungsfonds. Der im Sommer 2015 damals die Zahlungen auf 13 Dollar reduziert hatte. Der Grund für die große Flucht. Inzwischen zahlen die Industrienationen wieder ein. Auch Deutschland. Im Winter darauf, also zwischen Januar und März 2016 verbreitete sich in den Lagern die Angst, dass die Männer, die es nach Deutschland geschafft hatten, nicht mehr ihre Frauen und Kinder nachholen dürfen. Sie kennen die Diskussion um den Familiennachzug für subsidiäre Flüchtlinge. In diesen Wintermonaten habe ich vor allem auf Lesbos überwiegend Frauen und Kinder getroffen. Nacht für Nacht sind sie in den kleinen wackeligen Gummibooten über das Meer. Jeden Morgen so um die 2000- insgesamt sind über 900 000 Geflüchtete über die kleine griechische Insel Lesbos nach Europa gelangt. Bis zum März, zum Vertrags-Abschluss des EU-Türkei-Abkommens. Für diejenigen, die es bis zu diesem Tag noch geschafft hatten, begann das Drama in Idomeni, weil die Mazedonier die Grenze schlossen. Nach Wochen im Regen, Matsch und schrecklicher Kälte und ohne die staatliche Versorgung schafften die Griechen sie ins Landesinnere in Flüchtlingslager. Wieder. Dort sitzen derzeit rund 60 000 Menschen, davon die Mehrzahl Frauen und Kinder, fest. Trotz der Millionen Euro aus Brüssel und menpower aus der EU kriegen es die Griechen wohl nicht hin, die Asylanträge zu bearbeiten und die Menschen menschenwürdig zu versorgen. Das ist die eine Seite, vor der Festung Europa.
Die andere: Eine halbe Million Frauen hat es in den Jahren 2012-2016 nach Deutschland geschafft. Nach durchschnittlich dreieinhalb Monaten Fluchtzeit. Wir mögen uns gar nicht vorstellen, was sie mit ihren Kindern da alles erlebt, erlitten, durchlitten haben. In meinem letzten Buch "Kein Schutz nirgends" beschreibe ich die Flucht einer 36jährigen Syrerinnen mit ihren fünf Kindern. Vier bildschöne Mädchen, der jüngste ein Junge. Wie sie ihre Mädchen hinter Tüchern versteckt hat, auf dem langen, extrem gefährlichen und anstrengenden Weg von Khartoum bis nach Libyen. Wie sie sich nachts nicht getraute zu schlafen, aus Angst, dass einer der Schlepper oder einer an den Kontrollstationen auf die Idee kommen könnte , sich eine der Töchter zu greifen. Miryam , so erzählte sie mir, war auf der ganzen Flucht in Panik. Als dann auch noch das Benzin auf dem kleinen Schiff nach Lampedusa ausgeht, Wasser eindringt, das Schiff zu sinken beginnt, nimmt sie ihren Jüngsten noch auf die Schultern, damit er vielleicht überleben kann. Sie hat da mit ihrem Leben abgeschlossen. Es geht aber alles gut aus, sie hat Glück. Eine Tochter ist bereits in Deutschland mit einem Syrer verheiratet, die anderen Kinder sprechen auch fließend deutsch und sind integriert in Hamburg. Sie nicht. Sie geht nicht in den Integrationskurs, leider. Bei meinen Vorträgen in Deutschland höre ich dies leider immer wieder von helfenden Menschen: 17 Prozent der Frauen waren nie in einer Schule. Aber ohne lesen und schreiben funktioniert das nicht eine andere Sprache zu erlernen. Landauf, landab scheinen gerade die Flüchtlingsfrauen eingeschlossen in der jetzt- sicheren-Wohnung. Sie brauchen Dolmetscher, wenn sie zum Arzt gehen, in die Schule zum Lehrer gebeten werden. Oft übersetzten die Kinder. Ihre Männer kümmern sich darum um die Belange der Frauen und Kinder. Und Frauen bleiben in ihrem Kulturkreis zurück. Im wahrsten Sinn des Wortes...
Frauenhäuser und Zentren für geflüchtete Frauen versuchen zu helfen. Mit gemeinsamen Treffen zu Kaffee oder zum Kochen, damit sie raus kommen aus der Isolation. Eine neue Untersuchung der psychiatrischen Uniklinik Berlin unter 650 geflüchteten Frauen aus Syrien, Irak, Iran, Afghanistan, Somalia, Eritrea und Äthiopien hat ergeben, dass über die Hälfte von ihnen in der Heimat oder auf der Flucht dem Tode nahe gewesen seien. Medica Mondiale, die Organisation von Monika Hauser, fordert immer wieder bessere Betreuung gerade der Frauen in den Erst-Aufnahmen. 26 Prozent haben in der Unterkunft Diskriminierung erlebt. Nun hat sich das in Deutschland deutlich verbessert,die Kommunen sind sensibilisiert. Sie schauen darauf, dass Frauen, Kinder und Familien in fast allen deutschen Städten inzwischen in Wohnungen unterkommen und nicht mehr in Gemeinsachtseinrichtungen, wo sie oft Freiwild für Männer wurden. Aber immer noch fehlt einem Großteil der geflüchteten Frauen medizinische Unterstützung. Jede zehnte Frau habe Selbstmordgedanken. So die Untersuchung der Uniklinik Berlin. Besonders dramatisch ist die Situation bei den Eritreerinnen. Für sie war meist die Angst vor Vergewaltigungen, Gefängnis, erzwungenen Eheschließungen und genitaler Verstümmelung der Haupt-Fluchtgrund. Hier angekommen, sprechen über 40 Prozent von "stark ausgeprägter Traurigkeit". Auch weil die meisten von ihnen auf der Flucht durch die Sahara mit ihren Körpern bezahlt haben. Und Babys zur Welt gebracht haben, Kinder der Gewalt.
Der Teufelskreis aus mangelnder oder nicht vorhandener Schulbildung der Frauen und Mädchen, und damit kaum vorhandener Deutsch-Kenntnisse wirkt sich aber auch ganz bitter in den Asylverfahren aus. Weil sie nicht erzählen können, und auch oft nicht wollen, werden sie falsch beurteilt und nicht anerkannt. Fachleute sind sich alle einig: gerade Vergewaltigungsopfer, Folteropfer reden nicht. Ich denke, das kann man gut nachvollziehen. Ich habe das bei meinen Reportagen in Bosnien, in Ruanda, in Afghanistan und Indien immer wieder erlebt.
Aber bleiben sie mit mir noch in Deutschland. Wo im Jahr 2015 75 Prozent aller Asylanträge von Männern zwischen 15 und 35 Jahren gestellt wurden. Die geflüchteten Frauen sehen sich hier in Deutschland also eine Mehrzahl Männer aus ihrem Kulturkreis gegenüber. Arabisch sprechenden Männern. Aus Afghanistan sind kaum allein geflüchtete Frauen hier angekommen. Die jungen Männer hier suchen"ihre" Gruppe, die gleiche Gruppe. Da fühlen sie sich sicher und stark. Alle Fachleute hier in Deutschland sehen hier ein großes Problem. Gerade junge Männer, die entwurzelt sind und nicht mehr unter der Kontrolle der Väter und Mütter stehen sind eher gewaltbereit. Auch und gerade allein geflüchteten Frauen gegenüber. Sie sehen bei uns wenig bekleidete Frauen auf den Plakaten. Aber bei ihnen zuhause haben sie gelernt: wenig bekleidete Frauen sind Schlampen. Nicht ehrbar. Die Ehrbaren verhüllen sich. Also halten sich auch die alleine leben Flüchtlingsfrauen daran. Auch aus Angst vor sexuellen Übergriffen. Von denen übrigens nur ein Bruchteil angezeigt wird. Weil die Frauen auch hier Angst haben- abgeschoben zu werden, Nicht anerkannt zu werden als Flüchtling. Und aus: Scham.
Es ist also noch viel zu tun in diesem Land, mit seinen 83 Millionen Einwohnern und 41 Millionen Frauen. Die Frauen hier sind es vor allem, die helfen, sich auch jetzt im dritten Jahr nach dem Sommer 2015 einbringen und um die Integration der Geflüchteten zu kämpfen. Meine Syrerin Miryam geht leider immer noch nicht in den Deutschkurs...sie ist umgezogen, in eine drei-Zimmer-Wohnung, kann mit ihren Kindern und anderen Frauen in ihrem Stadtteil auf arabisch kommunizieren und sonst- will sie nicht. So einfach ist das manchmal. Oder so schwer.
Ich möchte aber meinen kleinen Bericht nicht beenden, ohne nochmals in Erinnerung zu rufen: 3,6 Millionen Frauen und Kinder sitzen in den Flüchtlingslagern im Libanon, in Jordanien, in der Türkei und auf Griechenland fest. Europa hat dicht gemacht. Familiennachzug ab August nur bis 1000 Menschen pro Monat, also 12 000 im Jahr. Aber wie sollen sich die Ehemänner, die Väter, die Onkel und Brüder integrieren, wenn sie nur per Internet mit ihren Lieben kommunizieren können? Der renommierte Kriminologe Christian Pfeiffer mahnt darum auch: "Frauen zivilisieren die Männer. Wenn die Frauen fehlen, können sich Macho-Kulturen entwickeln und umso stärker ausgelebt werden. Von daher gesehen ist der Familiennachzug richtig und wichtig".
Es ist aber nicht nur der Familiennachzug- es geht um die Lebenssituation der Menschen in den Flüchtlingslagern. Die Länder Libanon und Jordanien aber auch Ägypten schaffen das finanziell nicht. Die muss man unterstützen. Und die Türkei hat ja klaglos 3,4 Millionen Flüchtlinge überwiegend aus Syrien aufgenommen- dort funktioniert es eher. Auch weil Millionen aus Brüssel an die dortigen Hilfsorganisationen gehen, nicht an Mr. Erdogan. Die Hilfsorganisationen sind es übrigens überall da, wo ich war, die sich wirklich um die Menschen kümmern. Es ist nicht vorbei. Jede helfende Hand, jeder zupackende Mensch wird gebraucht. Und: wir schaffen das.