Anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde
Sehr geehrte Exzellenzen,
es ist mir eine große Ehre heute hier stehen zu dürfen und ich danke der Universität Paderborn von ganzem Herzen: der Präsidentin Prof. Dr.Birgit Riegraf,
Dekan Prof. Volker Penkhaus aber vor allem Prof. Dr. Ruth Hagengruber. Sie hatte den Mut, die Idee, die Durchsetzungskraft eine Journalistin mit Leib und Seele an die Philosophie-Fakultät zu holen und ihr einen Lehrauftrag zuzutrauen.
Wie heute erinnere ich an meinen ersten Vorlesungstag, den 4. Dezember 2015. Prof. Hagengruber stellte mich den Studierenden vor, Julia Lerius erklärte ihnen die Möglichkeiten, welche Scheine wie erworben werden können- wir zeigten einen Film über mein bisheriges journalistisches Leben, damit die Studis wissen sollten, wer da vor Ihnen steht und sitzt...und dann war ich dran. Das ist schon was anderes, als vor einer Kamera oder an einem Hörfunkmikrofon zu sprechen. Man sieht die Zuhörerinnen, die Zuhörer. Und über das Zuhören möchte ich an dieser Stelle, aus diesem Anlass ein paar Worte verlieren. Denn jetzt gleich frage ich uns alle: können wir noch Zuhören, oder haben wir das Zuhören verlernt? Aber der Reihe nach:
Im Radio oder im Fernsehen höre oder sehe ich die Menschen nicht, ich weiß es im Hörfunk alle Vierteljahre durch die Marktanteilsberechnung, oder im Fernsehen am nächsten Morgen durch die Quoten, ob jemand zugehört, zugesehen hat. Den Studierenden sehe ich es an, bemerke den Gesichtsausdruck, gelangweilt, oder kontext-center, interessiert oder abwesend. Ich erkenne es an den Fragen, die sie stellen, später an den Dokumentationen, die sie abliefern: haben sie zugehört? Ist es mir geglückt, sie zu Zuhörerinnen/ Zuhörern zu machen?
Wir alle haben jetzt hier in eineinhalb Stunden zugehört.
Laptops, IPads und iPhones waren ausgeschaltet. Ja? Also wir waren nicht abgelenkt, wie sonst so in unserem Alltag.
Ich gestehe, da es heute in besonderem Maße mich betrifft, sass ich die ganze Zeit aufrecht auf der vorderen Stuhlkante, zwischendurch ist mir das Blut ein wenig in die Wangen geschossen, weil ich berührt war, auch ein wenig beschämt ob all Ihrer so vielen lobenden Worte.
Mir ist also heute das Zuhören sehr sehr leicht gefallen.
Aber insgesamt ist es nicht einfach, das mit dem Zuhören. Oder? Hand aufs Herz- denn nicht nur Wissenschaftler sagen, dass Zuhören harte Arbeit ist. Weil beim Zuhören ganz andere Regionen im Gehirn gefordert sind, als zum Beispiel beim Sprechen. Sprechen ist ein so existentielles Geschehen wie wenn wir essen, oder Sex haben. Wer spricht hört nicht zu.
(Reden deshalb Männer gefühlt immer mehr ????)
Beim Zuhören nämlich müssen verschiedenste Regionen des Hirns miteinander kommunizieren. Vor allem eines ist vordringlich: aufmerksam sein. Das ist anstrengender als Sprechen...
Sie haben jetzt auch viel von meinen letzten Büchern gesprochen. Entstanden sind sie, weil ich anderen Frauen und Mädchen zuhören durfte, weil sie mit mir geredet haben und mir ihre so oft unglaublichen Geschichten erzählten. Auch oft mehr erzählten, als sie eigentlich wollten. Weil ich für sie ein offenes Ohr hatte, auf sie einzugehen vermochte, ihnen Gehör schenkte. Ohne ihre Geschichten hätte ich nicht zu schreiben vermocht. „Der Zuhörer ist ein schweigender Schmeichler“....
So formulierte es der unvergleichliche Immanuel Kant.
Und so habe ich mich oft gefühlt: irgendwie auf der Jagd nach den Geschichten. Als ich in der Münchner Abendzeitung von der von der serbischen Soldateska angeordneten Massenvergewaltigung von mindestens 50 000 bosnischen Mädchen und Frauen hörte und einige dieser Frauen dann kurz darauf in den Lagern vor Zagreb, und später im eingeschlossenen Sarajewo traf, und ihnen zuhörte, oft unter der Aufbietung aller Kraft, da habe ich mich of als Eindringling in die Privatsphäre dieser Frauen gefühlt.
Mein lieber Mann hat mich oft gefragt, warum ich in Kriegs- und Krisengebiete ziehe und dort den Mädchen und Frauen zuhöre und ihre Schrecklichen Geschichten aufschreibe. Für mich ist das ganz einfach: weil es sonst niemand tut. Weil ich möchte, dass es festgehalten wird, damit niemand sagen kann, er habe es nicht gewusst.
Nördlich von Kabul in einem kleinen Dorf traf ich in einer verfallenen Hütte zehn Afghaninnen. Erst wollen sie von mir so einiges wissen: wieviele Kinder ich habe, was nur zwei? Wie wir in Deutschland das hinbekommen? Und nachdem sie dann drei Stunden von sich und ihren Schicksalen erzählt hatten, von den dramatischen Geburten ohne medizinische Hilfe, immer im hintersten, dreckigen Stall. (Darum auch die höchste Müttersterblichkeit weltweit..)
Von den schlagenden Männern, und auch von gewalttätigen Schwiegermüttern, schauten sie mich dann mit großen Augen an und sagten nur noch: wie gut dass Du uns zuhörst, dass Du aufschreibst, was hier passiert, wie wir leben. Das macht uns Mut und gibt uns Kraft.
Für mich war es stets ein Kraftakt, der sich immer nur bewältigen liess, indem ich abends ,wo auch immer und unter welchen Umständen auch immer, alles aufschreibe. Hinein ins
Laptop, oder Ipad. Vorher auf der Suche nach Strom...
Meistens sitzt man ja dann beim Zuhören im Schneidersitz, stundenlang, ohne Schuhe und bedacht, die Füße nicht in Richtung der Gastgeber im Zelt, in der Hütte, im Lager zu richten. So auch südlich von Djabarkir, in einem Lager welches das türkische Militär für die Jesiden errichtet hatte.
Mir gegenüber eine temperamentvolle Mutter, umgeben von 11 ihrer 14 Kinden. Sie erzählte was die IS-Terroristen mit den jungen Mädchen, den Frauen, den Söhnen und Vätern gemacht haben: schauerlich. Sie redete fast ohne Punkt und Komma, meine einfühlsame Übersetzerin hat einen großartigen Job gemacht...ich schrieb mir alles auf. Stellte wenige Zwischenfragen, immer kurz. Als ich aber diese jesidische Frau zwei Tage später nochmals traf geschah das für mich vollkommen Unerwartete- sie übersah mich, wandte sich ab, wollte nicht mehr mit mir reden, hatte plötzlich keine Zeit.
Was war geschehen? Die Fragende, die Zuhörerin war voller Schuldgefühle. War mein zuhörendes Schweigen verletzend ? Was hat sie erwartet von mir, der deutschen Journalistin? Es hat sich nie aufgeklärt, aber es hat mich bedrückt. Ich hatte die Geschichte- aber die Erzählerin wohl nicht das, was sie sich von mir und Ihrem Erzählen erhofft hatte. Auch das kann beim Zuhören passieren....
Zum Schluß meiner Gedanken zum Zuhören dann doch noch ein Blick auf eine 16jährige Rednerin, die derzeit Millionen Jugendliche auf die Straße bringt, die ihr begeistert zuhören: Greta Thunberg. Die Umweltaktivistin findet die richtigen Worte und ich frage uns, die Älteren dieser Generation, wer hat ihr schon mal genau zugehört? Ihrer Rede vor den Vereinten Nationen? In Berlin? In Rom? Unsere jungen Leute im Land tun das wohl, 71 Prozent der Jugendlichen zwischen zwölf und 25 Jahren sagen, dass die Angst vor der Umweltzerstörung ihre größte Angst ist. Sie haben ihr zugehört. Sie findet die richtigen Worte, und egal, ob ihr jetzt der Vater oder ein Journalist die Reden schreibt: Greta ist authentisch, überzeugend, sie erreicht nicht nur den Verstand, sondern auch die Herzen der jungen Menschen. Von denen, die Zuhören...und das sind: Millionen.
Ich jedenfalls bin immer glücklich, wenn die Studis bei mir im Seminar zuhören. Denn das ist- wie ich schon zu Beginn sagte - anstrengender als Reden.
Ich höre damit auf,
und bedanke mich bei ihnen. Für das Zuhören, bei der Universität für diese Ehre und bei Ruth Hagengruber dafür, dass sie mir etwas zugetraut hat.