Vortrag bei den Rotariern Hamburg-Wandsbek
Vortrag bei Rotary
„Ein Buch, das mich für mein Leben geprägt hat“
Titel: Vita aktiva oder Vom tätigen Leben
Von Hannah Arendt
Begrüßung
Schon der Titel hat mich gefangen: vita aktiva, aktives Leben und dann noch: vom tätigen Leben.
Kurz vor dem Abitur hörte ich davon in der Schule im Gymnasium Tegernsee, einem alten Benediktiner-Kloster, bei unserem so klugen Deutsch-Lehrer. Für mich war schon klar, dass ich nach den Jahren als Chefredakteurin der Schülerzeitung und ersten Artikeln im heimischen „Seegeist“ Journalistin werden wollte.
Weil ich sonst noch nichts von Hannah Arendt gelesen hatte kaufte ich mir in der örtlichen Buchhandlung das Taschenbuch vom „tätigen Leben“. DM 19.80. War damals viel Geld für ein paperback.
Ehrlich, ich hatte Mühe mich einzulesen. „Arbeiten, Herstellen, Handeln“, das sind nach ihr die Voraussetzungen für politisches Handeln. Mit gerade 19 Jahren nicht einfach nachzuvollziehen. Aber meine Mutter lebte mir da so einiges vor: sie arbeitete, verdiente ihr eigenes Geld und war damit unabhängig von meinem Vater. Sie stellte eine Zeitschrift her, die wiederum andere Menschen interessierte und dem Verlag, den Redakteuren Geld einbrachte.
( Meine Mutter regte sich immer furchtbar auf, wenn ich ihre Zeitschrift von hinten her durchblätterte, ich kann sie heute gut verstehen…)
Schließlich Hannah Arendts dritte Komponente nach arbeiten und herstellen: Handeln. Da war ich dann doch ein wenig ratlos, hilflos. Was meint sie genau mit Handeln? Ist Handeln reden, kommunizieren? Das rechte Wort im rechten Augenblick? Es wird für mich noch ein langer Weg sein, von der kleinen Regionalzeitung im Landkreis Miesbach bis zum landesweiten Bayerischen Rundfunk, erst Hörfunk, dann Fernsehen. Und später bis zum bundesweiten Fernsehen von ZDF und ARD.
Also Handeln. Wie setzt man das um? Machen, einfach so? Tatsache ist: reden geht nur mit einem gegenüber, privat, oder im öffentlichen Raum. Sei es in der Redaktion, später dann auch vor anderen Menschen, in Vortragssälen, oder an einem Mikrofon und vor einer Kamera, wenn da Millionen zuhören, zusehen.
Was ich aber vor allem mitgenommen habe in diesem nicht wirklich einfach zu lesenden Buch: aktiv sein, nicht rumhängen, sondern etwas tun, also herstellen, und dann darüber reden, handeln, machen.
Wir haben in der Schule mit der Gründung der Bundesrepublik in Geschichte aufgehört. Dazu auch in Deutsch die Literatur dazu gelesen. Ein Glückfall von einem Lehrer, der uns in beiden Fächern ergänzend unterrichtet hat. Weil mich dazu Hannah Arendt gefesselt hatte, fand ich dann sehr schnell Texte zu ihrer Prozessberichterstattung über Adolf Eichmann in Jerusalem. „The New Yorker“ hatte sie als Reporterin 1961 zwei Monate nach Israel geschickt. Mein Gott, was für eine Aufgabe, für eine von den Nazis erst ver folgte,verhaftete, dann vor ihnen geflüchtete Jüdin.
Ihre Berichterstattung aus dieser Zeit wurde von vielen, vor allem von amerikanischen Juden, nicht nur positiv beurteilt. Sie habe völlig unangemessen, überheblich und für die Opfer verletzend geschrieben. Vor allem ihr Buch “Eichmann in Jerusalem“ mit dem Untertitel „Ein Bericht von der Banalität des Bösen“ wurde heftig kontrovers diskutiert. Nicht nur in den USA dann auch in Deutschland. Die “Banalität des Bösen“ hat viele damals aufgeregt und erbost. Ich habe das als junge Schülerin auch nicht gleich verstanden. Dann allmählich, ein wenig, aber erst sehr viel später habe ich die ganze Aufregung der New Yorker Juden begriffen.
Sie verteidigt sich, hält Vorträge, und schreibt über das Ende des Prozesses, der ja mit dem Tod Eichmanns endete:
“ In diesen letzten Minuten war es als zöge Eichmann selbst das Fazit der langen Lektion in Sachen menschlicher Verruchtheit, der wir beigewohnt hatten- das Fazit von der furchtbaren „Banalität des Bösen“. Vor der das Wort versagt und an der das Denken scheitert.“
Es soll ja heute auch darum gehen, wie mich ein Buch, eine Überschrift und eine Autorin für ein Leben beeindruckt und geleitet haben. Nochmals zur Erinnerung: Ihre Vita aktiva ist arbeiten, herstellen handeln. Als ich in der Münchner Abendzeitung von einer Kollegin las, dass im Bosnienkrieg Frauen von serbischen Soldaten quasi als Kriegsziel vergewaltigt worden waren, ist mir Hannah Arendt eingefallen. Was würde sie tun, wenn sie das liest? Sie würde hinfahren, in die Flüchtlingslager, in die eingeschlossene Stadt Sarajewo und berichten. Das habe ich dann auch gemacht. Und so konnten, oder mussten wir berichten dass mindestens 50 000 Bosnierinnen vor den Augen ihrer Familien vergewaltigt worden waren. Es kam zu einem weltweiten Aufschrei, zu Millionen Hilfsgeldern, die wir an NGO-Organisationen verteilen konnten, die dann den Opfern zur Seite standen.
Ich habe mich auf meinem beruflichen Weg immer wieder und fast traumwandlerisch an Hannah Arendt´s Motto halten wollen: vita activa. Ob in Afghanistan oder Indien, im Kongo oder in den Flüchtlingslagern rund um Syrien.
Mein Mann hat oft gesagt, warum tust Du Dir das an, diese Berichte und Bücher über das Leid der Frauen und Kinder. Aber für mich ist es wichtig, das alles festzuhalten, aufzuschreiben, die Filme zu drehen, die Bücher darüber zu schreiben, damit niemand sagen kann, er habe es nicht gewusst.
Sich näher mit dem Lebenslauf eines Menschen zu beschäftigen, der einen nur mit einer einzigen Zeile so gepackt hat, ist auch sehr motivierend. Hannah Arendts´s Zivilcourage, die sie ihr ganzes Leben zwischen Hannover, Heidelberg, Paris und später New York umgesetzt hat, wurde auch oft von ihren Kritikern als Unnachgiebigkeit wahrgenommen und bekämpft. Schon die Schule musste sie wegen Differenzen mit einem Lehrer verlassen. Ich habe heute einen dicken Stoß an Verweisen und Arrestzetteln. Weil ich wohl auch widerborstig unangepasst und aufmüpfig war. Meine Kinder können das immer gar nicht glauben und lachen sich schief.
Nach Berlin, da schickten Hannah Arendts Eltern sie hin, dort langweilte sie sich und ging sie als Gasthörerin an die Universität, hörte Romano Guardini und bestand erst später als externer Prüfling - dann wieder zurück in Königsberg- das Abitur.
Widerständig war sie wohl ihr ganzes Leben. In der Schule, zuhause, später an der Universität. In ihren drei Ehen, in den Verlagen, mit ihren Sparrings-partnern, die sich selbst als Philosophen sahen. Wobei sich aber Hannah Arendt immer lieber als Journalistin und nicht so sehr als Philosophin erlebte.
Was für mich so gar nicht zu ihr passte, ist die langjährige Beziehung der damals erst 18jährigen Studentin mit dem 35jährigen verheirateten Familienvater Martin Heidegger. In Marburg. Eine Beziehung die sie immer geheim gehalten hat. Erst rund 60 Jahre später kam alles auf, durch die große Arendt-Biographie der Amerikanerin Elisabeth Young-Bruehl.
Ich denke, diese unglückliche Liebes-Geschichte war auch die Initialzündung zu ihrem ersten Buch „Der Liebesbegriff bei Augustin“. Damit war der Kirchenvater gemeint, den sie aber lieber als Philosophen betrachtete und auch so beschrieb.
Im Alter von 22 Jahren schreibt sie ihre Dissertation. Die erst 1929 gedruckt wird. Durch das Dritte Reich wird ihr die Promotion nicht anerkannt, sie muss Jahrzehnte später aus New York vor einem deutschen Gericht um die Anerkennung kämpfen. Also wieder: kämpfen. Sie schafft es, die Anerkennung ihrer Promotion und damit ist sie dann für unzählige jüdische Leidensgenossen der door-opener. Sprich: auch deren Promotionen werden anerkannt.
Während mich der Feminismus, die Frauenrechte, und der Paragraph 3 des Grundgesetzes immer bewegt und journalistisch geprägt haben, hielt Hannah Arendt zu meiner großen Überraschung nichts von der Frauenbewegung ihrer Zeit. Nun ist die natürlich nicht zu vergleichen mit der Entwicklung heute. Sie schrieb damals zwar eine Rezension über das „Frauenproblem in der Gegenwart“, ein Buch über die Emanzipation im öffentlichen Leben. Aber kritisch erkannte sie auch, dass in der Ehe und im Arbeitsleben von Gleichberechtigung noch nicht viel zu sehen, zu spüren und umgesetzt war. Für sie sind dann allerdings doch die Pflichten, die damals in der Gesellschaft einer Frau oblagen nicht mit ihrer quasi angeborenen Unabhängigkeit zu vereinbaren. Wenigstens das. Aber: Politische Fronten sind auch damals vor allem Männerfronten, erkennt Hannah Arendt- und ehrlich, wie sieht es heute aus, 2020, also 90 Jahre später??? Wie würde sie im New Yorker schreiben über die Wahl vom 3. November in den Vereinigten Staaten, das Verhalten eines Donald Trump? Denn ein Leben lang durchzog ihre Arbeiten, ihre Texte ein „revolutionärer Geist“, wie er ihr auch gerade aktuell in dem Buch von Richard Bernstein „Denkerin der Stunde“ wieder attestiert wird.
Mit dem ehemaligen Geliebten Martin Heidegger bleibt sie ein Leben lang in Verbindung. Allerdings auch mit langen Strecken der Sprachlosigkeit. Denn Heidegger engagierte sich für die NS, trat bereits 1933 in die NSDAP ein. Hannah Arendt brach verzweifelt und bitter enttäuscht den Kontakt ab, und traf ihn erst 1950 wieder. Für viele eine unverständliche Liebe. Die anscheinend auch ihre drei Ehen überstanden hat.
Wenn ich heute in Deutschland über die Situation der über 1,5 Millionen Geflüchteten diskutiere, mich an 2015 erinnere, an die Balkan-Route, auf Grund der Bilder ich dann in die Flüchtlingslager rund um Syrien gereist bin, in den Libanon, nach Jordanien, in die Türkei und nach Lesbos. Immer auch auf der Suche nach den Frauen und Kindern, die auf den Fernsehbildern zur Balkan-Route nicht zu sehen waren. Dann ahne ich, wie sich Hannah Arendt damals 1933 gefühlt haben muss: erste Flucht-Station Paris, ohne Geld, ohne Pass, staatenlos. 1940 werfen die Franzosen die deutschstämmigen Ausländer raus, allesamt als „feindliche Ausländer“. Sie schließen die provisorischen Lager für die unerwünschten Menschen. Vor allem jüdische Mitbürger.
In ihrem Essay „Wir Flüchtlinge“ schreibt sie später sarkastisch, dass die „Zeitgeschichte eine neue Gattung von Menschen geschaffen hat- Menschen, die von ihren Feinden ins Konzentrationslager und von ihren Freunden ins Internierungslager gesteckt werden.“
Sie kann fliehen, über Lissabon erreicht sie New York. Lernte unglaublich schnell englisch und in dieser Sprache als Journalistin zu schreiben. Ein zionistische Flüchtlingsorganisation gibt ihr ein geringes Stipendium, sie arbeitet, stellt her, und handelt. Vita aktiva.
Neun Jahre später, reist sie für die Jewish Cultural Reconstruction Corporation in die Bundesrepublik Deutschland. Da trifft sie dann auch wieder die alte wohl immerwährende Liebe Martin Heidegger. Aber auch Karl Jaspers. Wie immer schreibt die Schreibende darüber ein Essay. „Besuch in Deutschland. Die Nachwirkungen des Naziregimes“. Sie stellt eine seltsame Teilnahmslosigkeit der Bevölkerung fest. Über Europa liege zwar wegen der deutschen Konzentrations- und Vernichtungslager ein Schatten tiefer Trauer. Doch dieser Alptraum von Zerstörung und Schrecken werde nirgends weniger besprochen als in Deutschland. “Die Gleichgültigkeit, mit der sich die Deutschen durch die Trümmer bewegen, findet ihre genaue Entsprechung darin, dass niemand um die Toten trauert“.
Was ich nun neben der vita aktiva von Hannah Arendt mitgenommen habe in mein berufliches aber auch privates Leben: ihr Konzept des Vergebens und des Neubeginns. Das dann auch 15 Jahre nach ihrem Tod – sie starb am 4.Dezember 1975 in New York - in der Wahrheits- und Versöhnungskommission von Südafrika umgesetzt wurde. Ich zitiere Elisabeth Young-Bruehl in ihrem Buch über Hannah Arendt:
„Her ideas about forgiveness and her book on Eichmann influenced and were reflected in the action, the new beginning,
(in the South African Truth and Reconciliation Commission)…and made for the first time in history forgiveness a guiding principle for a state.” Vergeben für den Neubeginn. Das würde jetzt auch gut auf die Vereinigten Staaten von Amerika passen. Vergeben passt immer, auch im privaten. Man findet diesen Begriff in allen Religionen wieder. Bei den Christen, den Juden, den Buddhisten, den Moslems. Wenn wir beginnen einander zu vergeben, können wir in Frieden wieder neu anfangen. Daheim und draußen in der Welt.
VIELEN DANK